Eine bewegende Gedenkveranstaltung für die Mitglieder der Luckenwalder Widerstandsgruppe fand in der Stadtbibliothek statt. Die Ausstellung ist bis zum 11. November zu sehen, die TV-Dokumentation läuft in Dauerschleife.
In den Jahren 1943 und 1944 gab es in Luckenwalde eine Widerstandsgruppe. Sie versteckte und versorgte untergetauchte Juden aus Berlin und druckte Flugblätter gegen Hitler sowie für ein baldiges Kriegsende und verteilte tausende im ganzen damaligen Reich. Damit war sie viel effektiver in ihrer Außenwirkung als beispielsweise die „Weiße Rose“ um die Geschwister Scholl oder die Verschwörer um Graf von Stauffenberg. Dennoch ist sie weitgehend unbekannt. Das zu ändern, hat sich die Stadt Luckenwalde und eine Arbeitsgemeinschaft Erinnerungskultur vorgenommen.
Die ehemalige Luckenwalder Bahnhofshalle, die heute als Foyer der städtischen „Bibliothek im Bahnhof“ dient, füllte sich zusehends. Die Mitarbeiter der Stadtbibliothek mussten weitere Stühle herbeitragen. Das Interesse an der Tätigkeit der Widerstandsgruppe „Gemeinschaft für Frieden und Aufbau“ war für eine Kleinstadt wie Luckenwalde groß.
Genau an diesem Ort machten sich deren Mitglieder vor 80 Jahren möglichst unauffällig auf den Weg in andere deutsche Städte. In ihren Koffern und Rucksäcken führten sie keine Bekleidung und Wechselwäsche mit sich, sondern stapelweise Flugblätter – entweder lose, um sie heimlich direkt in Hausbriefkästen zu werfen, oder in Umschlägen, die sie in die gelben Postbriefkästen warfen mit Adressen, die sie aus Telefonbüchern oder aus Todesanzeigen gefallener Soldaten gesammelt hatten.
Vom Sparverein zur Widerstandsgruppe
Entstanden war diese lose Gruppe aus einem als „Sparverein Großer Einsatz“ getarnten Kreis von Unterstützern, die untergetauchte Juden bei sich versteckten. Das sei ja schön und gut, meinte der aus Theresienstadt geflohene Berliner Jude Werner Scharff als er in Luckenwalde auf Hans Winkler vom Sparverein traf, aber es komme darauf an, grundsätzlich das verbrecherische Nazi-Regime zu bekämpfen. Winkler hatte gerade den jüdischen Jugendlichen Eugen Herman-Friede bei sich versteckt und war Feuer und Flamme für Scharffs Ideen. Sie gründeten die Widerstandsgruppe mit dem umständlichen Namen „Gemeinschaft für Frieden und Aufbau“.
Herman-Friede schrieb 40 Jahre später seine Erinnerungen nieder und veröffentlichte sie Anfang der 1990er Jahre. Die Historikerin Barbara Schieb konnte die Existenz dieser Gruppe wissenschaftlich nachweisen. Zwar veröffentlichte Mitte und Ende der 1990er Jahre die regionale Tageszeitung mehrere Artikel, Realschüler drehten einen preisgekrönten Kurzfilm und der Ostdeutsche Rundfunk Brandenburg (ORB) strahlte eine beeindruckende Fernseh-Dokumentation aus, aber die Erinnerung an diese Widerstandsgruppe geriet wieder in Vergessenheit.
Erneute Erinnerung nach 80 Jahren
80 Jahre nachdem die Gruppe schließlich aufgeflogen war, ihre nicht-jüdischen Mitglieder verhaftet und angeklagt und ihre jüdischen Mitglieder teilweise im KZ hingerichtet wurden, für die meisten aber die Befreiung durch die Alliierten gerade noch rechtzeitig kam, hat die Stadt Luckenwalde an die Tätigkeit der vergessenen Widerständler erinnert. Auf Initiative ihrer Bürgermeisterin und in Zusammenarbeit mit der Stadtbibliothek und der Arbeitsgemeinschaft Erinnerungskultur fand am Samstag, 12. Oktober, eine beeindruckende Gedenkveranstaltung statt. Zugleich wurde eine Ausstellung zur Geschichte der Gemeinschaft für Frieden und Aufbau eröffnet. „Das ist ein Thema, das nicht vergessen werden darf“, so Bibliotheksleiterin Heike Rosendahl.
Bei der Judenverfolgung hätten auch in Luckenwalde viele Menschen weggesehen, einige hätten sogar mitgemacht, denunziert, und sich bereichert, meinte Bürgermeisterin Elisabeth Herzog-von der Heide. „Es gab aber wenige, die nicht weggeguckt, die Mitmenschlichkeit bewiesen haben. Diese Lichtblicke hat es auch hier gegeben.“ Es komme darauf an, die Erinnerungskultur, also das gemeinschaftliche Wissen über die Vergangenheit zu pflegen. Eine eindrückliche Einführung in das Thema vermittelte die Vorführung der ORB-Dokumentation „Fluchtpunkt Luckenwalde“ von 1998.
Gespräch mit Sohn und Nichte der Zeitzeugen
Da es keine unmittelbaren Zeitzeugen mehr gibt wie noch in den 1990er Jahren, befragte die Historikerin Anja Kräutler den Sohn von Eugen Herman-Friede und die Nichte von Günter Naumann. Es stellte sich heraus, dass beide lange brauchten, bis sie bereit waren, über ihre Widerstandstätigkeit zu erzählen. Sein Vater, berichtete Axel Herman-Friede, war von der DDR tief enttäuscht und wanderte nach Kanada aus, bevor er in Westdeutschland Karriere als Kaufmann machte. Bei einer Reha in einem bayrischen Kurort stieß sein Vater bei Mitpatienten auf unverhohlen geäußertes Nazi-Gedankengut, was ihn so empörte, dass er seine Erinnerungen niederschrieb. Daraufhin sei er vom karrierebewussten Geschäftsmann zum „Berufsjuden“ mutiert, wie seine Ehefrau spöttisch zu bemerken pflegte. Denn er hing seinen Job an den Haken und tourte vor allem durch Schulen, um von seinen Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus zu berichten.
„Mein Onkel hat kein Gewese darum gemacht“, erzählte Eva Scheer. Erst in den 1990er Jahren, als die Realschüler einen Film mit Günter Naumann und Eugen Herman-Friede drehen wollten, habe sie ihn noch überreden müssen, von seinen Erfahrungen zu berichten, was er dann auch tat.
Jugendliche Unbedarftheit
Herman-Friede und Naumann waren die Jüngsten in der Widerstandsgruppe und hatten sich in ihrer jugendlichen Unbedarftheit noch „keinen Kopp“ gemacht über das Risiko, das sie eingegangen waren. Doch warum haben sie es überhaupt getan? „Mein Vater hatte doch keine Wahl“, betonte Axel Herman-Friede. Sich nur zu verstecken, war ihm wahrscheinlich zu langweilig. „Mein Onkel war immer sehr hilfsbereit“, berichtete Eva Scheer. Nach dem Krieg habe er die Volkssolidarität in Luckenwalde mit aufgebaut und sich um die Flüchtlinge aus den ehemals deutschen Ostgebieten gekümmert, Weihnachtsfeiern ausgerichtet und eine Tauschzentrale für Kinderschuhe eingerichtet. Als antifaschistischer Widerstandskämpfer wurde Naumann nie gefeiert, weil er nicht bereit war, in die SED einzutreten. „Er war einfach nur ein Mensch, der sich für Menschen einsetzte“, fasste Eva Scheer den Charakter ihres Onkels zusammen.
Ähnlich sah es bei Eugen Herman-Friede aus: „Mein Vater stand für Anstand und Menschlichkeit“, sagte Axel Herman-Friede. „Ihm ging es darum, dass man Mensch bleiben sollte.“
Weder Helden noch Heilige
Das ist aber gerade in unmenschlichen Zeiten gar nicht so einfach. Und dass sie trotz aller Gefahren menschlich geblieben sind, darin liege das Verdienst der Mitglieder der Gemeinschaft für Frieden und Aufbau, betonte am Ende der Veranstaltung Hartmut F. Reck. Der Historiker und langjährige MAZ-Redakteur hatte gemeinsam mit dem ehemaligen Luckenwalder Pfarrer Detlev Riemer die Texte der Ausstellung verfasst. Dabei sei es ihnen nicht darum gegangen, die Widerständler zu Helden oder gar zu Heiligen zu stilisieren. Vielmehr seien es ganz normale und einfache Menschen gewesen, die weder intellektuell verbrämt noch religiös beseelt waren. Reck zitierte die leider vor einem Jahr verstorbene Historikerin Barbara Schieb, die vier Antriebskräfte der Luckenwalder Widerständler ausgemacht hatte: das Wissen um die Judenverfolgung und -vernichtung, der Hass auf das verbrecherische Regierungssystem, die Unerträglichkeit des Krieges sowie die Hoffnung auf Vorteile nach dem Ende des NS-Regimes.
Aber, „was auch immer diese Menschen aus Luckenwalde zum aktiven Widerstand trieb“, so Hartmut Reck, „es war für alle eine Gewissensentscheidung, oder, wie es Barbara Schieb einmal so treffend formulierte: ,Sie wussten intuitiv, dass sie das Richtige tun.‘ Und darauf kommt es an!“