Mehr als 6.000 Brandenburger verlassen jedes Jahr Deutschland. Nicht alle bleiben dauerhaft. Christian Hildebrandt jedoch will nach sieben Jahren in Südostasien nicht mehr zurück.
Christian Hildebrandt hat noch einen Koffer in Potsdam. „Da sind Winterklamotten drin“, sagt der 61-Jährige. Die braucht er in seiner neuen Heimat Kambodscha nicht. Bei 36 Grad Celsius lässt er sich auf dem Moped den Fahrtwind um die Nase wehen. Auf dem Weg ins Zentrum der quirligen Hauptstadt Phnom Penh überquert er den Mekong, der sich jetzt zum Beginn der tropischen Regenzeit zu einem reißenden Strom verwandelt und kaum an die gemächliche Havel erinnert. Dabei blickt der Auswanderer auf die golden schimmernden Dächer des Königspalastes und nicht mehr auf die Schlösser von Sanssouci oder vom Neuem Garten.
Netto gehen 1.000 Brandenburger ins Ausland
Christian Hildebrandt ist einer von jährlich mehr als 6.000 Brandenburgern, die Deutschland verlassen. Einige kommen auch zurück. Trotzdem bleiben von ihnen unterm Strich pro Jahr mehr als 1.000 Deutsche im Ausland, größtenteils aber innerhalb Europas. Oft sind es gut ausgebildete Menschen wie Hildebrandt. Er brachte es in jungen Jahren vom Fahrdienstleiter bis zum Bundesbahninspektor. Dann studierte er bis 1995 in Memphis (USA) psychologische Wissenschaften und arbeitete jahrelang beim TÜV als Bildungsbegleiter für benachteiligte Jugendliche.
Vor sieben Jahren gab er das für ein neues Leben auf: „Wer beschließt im Alter von 54 Jahren schon, jetzt lebe ich woanders? Dafür musst Du etwas verrückt sein.“ Der gebürtige Altmärker, der seit seiner Schulzeit überwiegend in Potsdam wohnte, war aber nicht planlos. Als er 2018 seine Wohnung in Bornstedt auflöste und mit zwei Gepäckstücken nach Ho-Chi-Minh-Stadt in Vietnam flog, winkte dort bereits ein Arbeitsvertrag als Deutsch-Sprachlehrer. „Ohne den wäre ich nicht gegangen“, betont er, wie wichtig ihm gleich ein sicheres Einkommen war.
Aber warum sollte es Südostasien sein? In seiner Jugend habe er sich durch Bücher für Asien begeistert, erzählt er. Nur einmal war er dann etwas länger dort. Sein Kampfsport-Lehrer lud ihn in den 1990ern nach Thailand ein. „Es war wunderschön. Aber dort leben? Nein!“, stellte er fest. „Allerdings ließ mich Asien nicht mehr los.“ 2012 lenkten Erzählungen einer vietnamesischen Bekannten seine Aufmerksamkeit auf Hanoi. Dorthin gereist, platzte jedoch die Aussicht auf einen Arbeitsvertrag, da in dem Land die Hürden für Arbeitsvisa hoch liegen.
Auch in Ho-Chi-Minh-Stadt war nach gut drei Jahren Schluss, weil sein Visa ohne Angaben von Gründen nicht mehr verlängert wurde. Doch dann fand er eine neue Arbeit als Lehrer bei einer deutschen Sprachschule, wo er Erwachsene innerhalb Europas online unterrichtet. Da der Aufenthalt in Kambodscha leicht zu erlangen ist, suchte er sich dort in der Hauptstadt über das Internet ein dreistöckiges Reihenhaus, das er seitdem bewohnt.
Trotz großer Veränderung heimisch geworden
Zu seiner Auswanderung meint er: „Für mich war die Veränderung schon groß. Es ist ja eine ganz andere Welt.“ Jedoch habe er sich schnell wohl und zu Hause gefühlt. Als zum Jahreswechsel sein Mietvertrag auslief, zögerte er nicht, ihn zu verlängern – insbesondere wegen seiner Nachbarn: „Es haben sich gute Freundschaften entwickelt, wir helfen uns untereinander.“ Obwohl er bisher nur wenige Sätze Khmer gelernt hat, klappt die Verständigung. In seiner Wohnanlage für bessergestellte Beamte sprechen viele gut Englisch.
Das sei übrigens ein Unterschied zu Vietnam, wo er immer nur der Ausländer und für sich blieb. In Phnom Penh hält er kaum Kontakt zu anderen Deutschen. Lieber sitzt er mit seiner Nachbarschaft und deren Freunden vor den Häusern, so wie am Vortag zum kambodschanischen Neujahrsfest Mitte April, als sie gemeinsam ein Kalb grillten.
Die politischen und sozialen Entwicklungen in Deutschland verfolgt Christian Hildebrandt über Internet und Fernsehen. „Aber wenn manche Leute dort ihren Sülz ablassen, schalte ich aus“, ärgert er sich.
Für ihn sind solche Streitthemen weit weg: „Für mich fängt der Tag bei einem heißen Kaffee morgens um sieben Uhr mit der Lösung des ersten Problems an: Fahre ich in ein Restaurant und esse ein Spiegelei oder esse ich woanders eine Nudelsuppe?“ Danach trifft man ihn an einer von Ausländern freien Stelle am Mekong-Ufer bei einem Eiskaffee. Dort entfährt es ihm glücklich lachend: „Verdammt, geht es mir gut!“.